AD(H)S – Was steckt wirklich dahinter? Teil 1
Störendes Verhalten gepaart mit Konzentrationsschwierigkeiten - und schon bekommt das Kind die Diagnose AD(H)S. Was bedeutet überhaupt diese Abkürzung und was kann man tun? Ein erster Versuch im Dschungel der Literatur einen wissenschaftlichen und verständlichen Überblick zu bekommen.
„Zappelphilipp und Heulsuse“ – rasch werden Kindern, die sich anders verhalten als die Mehrheit, ein Stempel aufgedrückt und er erfolgt eine Schnelldiagnose.
Was bedeutet eigentlich die Abkürzung? ADS wird auch als Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom bezeichnet, ADHS als Aufmerksamkeitsdefizit - Hyperaktivitätsstörung. Letzteres unterscheidet sich vom ersteren, dass zusätzlich überschießende Reaktionen und Emotionen gezeigt werden.
Einige Fachleute (wie Dr. Matthias Gelb) gehen davon aus, dass AD(H)S eine medizinische Erkrankung ist. Andere wie z.B. der Neurologe Gerald Hüther sind der Meinung, dass AD(H)S keine Aufmerksamkeitsstörung ist, die auf einen gestörten Hirnstoffwechsel zurückzuführen ist, sondern eine mangelnde Sozialisationserfahrung. Er meint damit, dass Kinder die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu teilen, folglich die eigenen Impulse zu kontrollieren und sich auf etwas Gemeinsames einzulassen, nicht ausreichend gelernt haben. Beide Meinungen haben aber etwas gemeinsam, nämlich, dass AD(H)S Auswirkung auf die Bewältigung des Alltags hat.
Die Herausforderungen zeigen sich als Symptome in folgenden Bereichen:
- Unaufmerksamkeit: Der/die Betroffene hat wenig Ausdauer, ist leicht ablenkbar, Aufgaben werden häufig unterbrochen oder nicht beendet.
- Motorische Unruhe/Hyperaktivität: Kindern/Jugendlichen fällt es schwer, still zu sitzen. Sie sind getrieben von einer inneren Unruhe.
- Impulsivität: Situationen lösen unvorhersehbare Reaktionen aus wie Wutausbrüche, Schreien, körperliche Aggressivität.
Zappelphilipp
Philipp kann nicht still sitzen. Wenn er in der Reihe steht, fühlt er sich bedrängt und rempelt, um sich Platz zu verschaffen. In der Klasse ruft er ständig heraus. Er spielt gerne den Klassenclown, die anderen lachen über ihn. In seiner Schultasche herrscht das pure Chaos. Es fällt ihm schwer, bei einer Aufgabe zu bleiben. Die Lehrperson ist schon sehr genervt, ständig muss sie ihn ermahnen. Er stört im Unterricht, daher muss er zur Strafe auch manchmal im Klassenzimmer bleiben, während die anderen Turnunterricht haben.
Heulsuse
Suse sitzt am Zeichentisch und beobachtet die Vögel im Garten. Ihr Kopf ist aufgestützt. Die Kindergartenpädagogin ruft zum Aufräumen. Suse träumt vor sich hin und muss mehrmals aufgefordert werden. Wenn sich die Kinder zu zweit bei der Türe anstellen, bleibt sie immer als letzte übrig. Suse ist den Tränen nahe. Sie trödelt sehr, sie braucht sehr lange um sich anzuziehen.
Sie hat Schwierigkeiten, sich Dinge und Abläufe zu merken. Sie beginnt schnell zu weinen, zieht sich gerne zurück. Sie mag es gar nicht, wenn sie (z.B. bei Gruppenspielen) im Mittelpunkt steht.
Folgende Voraussetzungen für eine Diagnose müssen gegeben sein: (laut Dr. Gelb)
- Die Symptome zeigen sich vor dem 7. Lebensjahr.
- Die Schwierigkeiten zeigen sich in 2 sozialen Umfeldern (z.B. Schule und Familie).
- Es sind Störungen in der schulischen, sozialen und beruflichen Entwicklung zu beobachten.
- Andere Erkrankungen und Störungen können ausgeschlossen werden.
- Die Auffälligkeiten im Verhalten treten mindestens seit 6 Monaten auf.
- Die Auffälligkeiten unterscheiden sich in ihrer Intensität sehr vom altersgerechten Maß gesunder Kinder.
INFO:
Nicht alle Kinder, die unaufmerksam, getrieben und impulsiv sind, haben eine AD(H)S Störungen. Nur durch eine fachgerechte Diagnose durch Kinder- und Jugendpsychiater*innen oder Psycholog*innen lassen sich die tatsächlich Betroffenen herausfinden. Es gibt allerdings kein technisches Verfahren, mit dem sich AD(H)S eindeutig beweisen oder ausschließen lässt. Es wird auf standardisierte Fragebögen und Tests zurückgegriffen, was sehr zeitintensiv ist.
Ursachen von AD(H)S
Wie bei der Definition der Störungen gibt es auch hier in Fachkreisen sehr viel Diskussion, denn es lassen sich zwar Erklärungsansätze nennen, aber keine eindeutigen Ursachenzusammenhänge. Die Ursachen können genetischer oder neurologischer Art sein, aber auch das Umfeld kann Einfluss darauf haben. Man spricht da von psychosozialen Faktoren wie Überforderung und Leistungsdruck, Strukturlosigkeit, Ausgrenzung und eine sehr verplante Freizeit.
Behandlung
Wenn der Leidensdruck sehr groß wird und das trifft auf die meisten der Betroffenen zu, dann muss Unterstützung geboten werden.
Es besteht die Möglichkeit, verschiedene Therapieformen (Verhaltenstherapie, Ergotherapie, Gesprächstherapie, tierbegleitete Therapie, …) zu nutzen. Hier muss allerdings gesagt werden, dass es nicht die Therapie gibt. Das Ziel aller Ansätze ist es, die Impulskontrolle zu erlernen. „Die betreffenden Kinder und Jugendlichen müssen die Erfahrung machen und in ihrem Gehirn verankern können, dass sie in der Lage sind, ihre Impulse selbst zu steuern“ (vgl.Hüther). Und da macht es Sinn, dass Betroffene und ihre Angehörigen Unterstützungsangebote aus unterschiedlichen Fachbereichen (Pädagogik, Psychologie, Lernhilfe,..) in Anspruch nehmen.
Manchen Menschen werden Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat verschrieben (wie z.B. Ritalin), das Müdigkeit unterdrückt und antriebs- und leistungssteigernd wirkt.
Zum Weiterlesen
Buchtipp von Martin Gelb (2020): ADS/ADHS – Ein Ratgeber für Eltern, Pädagogen und Therapeuten, Schulz-Kirchner Verlag, Idstein
Konzentrum - www.konzentrum.at
Gerald Hüther - www.gerald-huether.de
MMag. Dr. Sabine Peinsipp-Hölzl
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